Wer nicht drauf gestoßen wird, dem fällt es überhaupt nicht auf: Die falsche römische Vier auf Uhrenzifferblättern. Jeder, der eine Armbanduhr mit römischen Ziffern besitzt kann es sofort nachprüfen: Die Vier – bei vier Uhr – ist mit Sicherheit eine “IIII” und keine “IV”.
Der Ursprung der vermeintlich fehlerhaften Schreibweise reicht zurück bis in die Anfänge der Schrift – weit vor unserer Zeit. Die römischen Zahlen dienten den damaligen Menschen ursprünglich auch nicht zum berechnen von Werten, sondern lediglich zum Abzählen, – nach alter Zählweise, unter Zuhilfenahme der Finger.
Wie man es noch heute in der gestenreichen Sprache der Südländer vorfindet, werden die Finger einzeln abgezählt, indem man an einer Hand jeweils Zeige-, Mittel-, Ring- und kleinen Finger mit dem Daumen oder dem Zeigefinger der anderen Hand berührt. Das Zeigen der kompletten Hand mit allen ausgestreckten Fingern bedeutet dann Fünf. Um bis Zehn zu zählen, bedient man sich auf gleiche Weise der anderen Hand.
Das Gezählte wurde niedergeschrieben, in Ton- und Wachstafeln geritzt, auf Papyrus geschrieben oder in Stein gemeißelt, indem die ermittelte Anzahl – durch senkrechte Striche “I” symbolisiert – aneinander gereiht wurde. Nach einem Päckchen von vier Strichen wurde dieses mit einem Querstrich durchgestrichen, und damit war die Anzahl Fünf dargestellt. Aus diesem grafischen Gebilde entwickelte sich irgendwann die römische “V”. Mit diesem “Sammelzeichen” und mit den einzelnen Strichen konnten die Römer bequem und verständlich weiter zählen.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Schrift fort. Zweimal “V” setzten sich zur zehn “X” zusammen, indem man eine umgedrehte “V” unter die andere “V” hängte. Zahlen höheren Wertes, wie die 50 bzw. “L” oder 100 bzw. “C” und die 1000 bzw. “M” wurden aus den Anfangsbuchstaben der lateinischen Schriftsprache gebildet. Die Darstellungsweise einer Neun “IX” (oder “IXX” etc.) ergab sich womöglich dadurch, weil man so auf Dauer weniger Energie beim Schreiben aufwende musste; zudem erfordert es weniger Platz, diese “rationelleren” Ziffern in die wertvollen Materialien, wie Ton- oder Wachstäfelchen zu ritzen bzw. in Marmor zu meißeln.
Warum war man dann aber gerade bei der “IIII” derart inkonsequent? In keiner römischen Inschrift – bis weit ins Mittelalter hinein – wurde die “IV” zugunsten der “IIII” benutzt. Wenn man bedenkt, dass die Skalen der wertvollen Wasser-, Sand- und Sonnenuhren sehr aufwendig aus Metall, Holz oder Knochen gegossen oder geschnitzt wurden, sollte man meinen, dass die “rationellere IV” wenigstens auf den Zeitmessern hätte auftauchen müssen.
Dass sich die “IV” gegen die Schreibweise “IIII” nicht im römischen Alltag durchsetzen konnte, ist vor allem in der vorchristlichen Religion der Römer begründet. Es galt schlichtweg als blasphemisch, die beiden Anfangsbuchstaben ihres Gottes Jupiter in einem nicht-zeremoniellen Zusammenhang abzubilden. Das Zeichen “I” steht im lateinischen für “J”, das “V” für “U”; eine 1, 2, 3, Gott, 5 … Zählweise war im Alltagsumgang einfach undenkbar. Die Abbildung des Götternamens war zeremoniellen Anlässen und den Priestern vorbehalten – die ihrerseits selbstverständlich Ziffern auch dergestalt darstellten, dass einer der Hauptgötter nicht erzürnt wurde.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass das Christentum es in seinen Anfängen niemals für nötig befunden hat, diesen Ausdruck eines konkurrierenden Glaubens schnellstmöglich auszumerzen. Bemerkenswert auch, dass das Thema später keiner der Päpste aufgegriffen hat. So steht die “falsche IIII” bis zum heutigen Tag auf dem überwiegenden Teil der Kirchturmuhren der Welt.
Generell kann man jedoch davon ausgehen, das nicht auf allen Zifferblättern mit römischer Schreibweise die Vier als “IIII” steht. Auf Kirchturmuhren des 15. und 16. Jahrhunderts sind zum Beispiel durchaus vermehrt beide Schreibweisen vertreten; die “IV”-Schreibung überwiegt aber in keiner Epoche. Das gilt auch für andere Turmuhren, an Schlosstürmen, oder für Rathausuhren.
Für diese Uhren gilt: 90% der Uhren, die römische Zifferblätter aufweisen sind mit der Schreibweise “IIII” versehen. Waren es in den Anfängen der Uhrmacherkunst die Turmuhren, dann die Taschenuhren, so sind es heutzutage die Armbanduhren, die uns höchstpersönlich die Zeit ansagen. Auf Anfrage erklären Hersteller hochwertiger Armbanduhren, wie die Omega Ltd., oder die Montres Rolex S.A. die “IIII” auf den Zifferblättern ihrer Uhren lediglich damit, dass es eine Frage der Symmetrie sei, denn nur bei der mit vier Strichen geschriebenen Vier seien die Zeichen beider Zifferblätterhälften mit je 14 Zeichen gleichgewichtig.
Auch beruft man sich gerne darauf, dass es bei den im Kreis aufgeführten Ziffern ein Gegengewicht zur “VIII” auf der linken Seite geben müsse; übrigens ein Argument, mit dem man die Existenz der “IIII” auf altrömischen Sonnenuhren keineswegs erklären kann. Dort waren die Ziffern anders angeordnet und richteten sich eher nach dem Schattenfall. Außerdem, wie erklärt man dann die asymmetrische Gewichtung der genau gegenüberliegenden Ziffern “I” und “VII?”
Andere Stimmen weisen übrigens auch noch darauf hin, dass es in der Renaissance durchaus modern gewesen sei, Uhren mit 24 Stundenziffern herzustellen, dadurch hätte die “IV” sogar leicht mit der unmittelbar benachbarten “VI” verwechselt werden können. Auch ein Argument.
Übrigens, Uhrmacher sind immer auch Ästheten und Künstler. Das ist unbestritten. Warum sollte ihnen dann also nicht am Herzen liegen, ein Zifferblatt optisch auszuwuchten, so dass keine Seite ein Übergewicht bekommt? Achten Sie z. B. einmal darauf, wie der Zeigerstand bei Uhren in Werbeanzeigen ist. Egal ob römische Ziffern, oder sonstige, fast immer ist es genau 10 Uhr und 9 Minuten. Die magersten Ziffern in der römischen Schrift “X”, “I” und “II” werden durch die Zeiger unterstützt – sogar auf Digitaluhren zeigt die Anzeige konsequenterweise 10:09.
Das Uhrmacherhandwerk hat Tradition, das bleibe ebenfalls unbestritten. Jedoch, ob man Symmetrie- Verwechslungs- oder Geschmacksgründe anführt, einige Armbanduhrenhersteller präsentieren heute in ihrem Sortiment beide Formen der römischen Vier nebeneinander. Betrachtet man zum Beispiel die entsprechenden Uhrenmodelle der Firmen Bedat & Co. oder Patek Philippe, so kann man lediglich noch über Geschmack streiten, aber an Symmetriebruch leiden diese Zifferblätter offensichtlich nicht, trotz der eigentlich “inakzeptablen” IV auf einigen ihrer Modelle.
Darüber hinaus, das Argument, der “Verwechselbarkeit” zielt dann ins Leere, wenn man sich die “Lindbergh-Edition” der Uhrenfirma Longines anschaut. Hätte Charles Lindbergh Schwierigkeiten beim Erkennen der “IV” gehabt, hätte er es womöglich nie über den Atlantik geschafft.
Aber gehen wir der Frage doch noch weiter nach: Woher kann das Diktat “IIII” anstelle der korrekteren “IV” sonst noch soviel Gewicht bekommen haben, dass es bis zum heutigen Tag weitestgehend befolgt wird? Einige Uhrmacher quälen sich sogar mit diesem Problem. Der Uhrmacher Lepine mischte gar römische und arabische Ziffern, um ein Gleichgewicht herzustellen, und er kreiste die “1” zusätzlich ein, damit sie nicht so mager gegenüber den anderen Ziffern erschien.
Andere Uhrmacher sind lange nicht so mutig. Über die Jahrhunderte war es deshalb üblich, der Entscheidung aus dem Weg zu gehen, indem man auf Wand und Standuhren die Aufzuglöcher mitten auf die “IV” setzte. Heute findet man auf Armbanduhren – welch Zufall! – an dieser problematischen Stelle oft die Datumsanzeige. Üblich ist es auch, nur jede zweite Ziffer abzubilden, und zwar die ungeraden. Für die geraden Ziffern gibt es dann Striche, oder Punkte.
Ganz aus dem Schneider ist der Uhrmacher, der die arabischen Ziffern bevorzugt, eine Schreibweise übrigens, die in Europa nicht unbedingt Tradition hat. Immerhin war in Stilfragen über Jahrhunderte die christliche Kirche gemeinsam mit den Fürsten- und Königshäusern tonangebend, vor allem, wenn es um die Gestaltung von Turmuhren ging, und da bevorzugte der Klerus und der Adel eher die römischen Ziffern, als ausgerechnet arabische.
Dem französischen König Louis XIV (1774 bis 1792) wird zugeschrieben, er habe die “IIII” per Dekret als “einzig richtige Schreibweise” für alle Zifferblätter von Uhren verfügt. Die gleiche Geschichte wird allerdings auch einem früheren Kollegen von Louis zugeschrieben. In ihrem Buch “Famous Watch Houses beschreiben Elena Introna und Gabriele Ribolini eine Begebenheit aus dem Jahr 1364.
König Charles V, der von 1338 bis 1380 ein bedeutender Herrscher und Wissenschaftler in Frankreich war, beauftragte seinen Hofuhrmacher Henry de Vick, eine Turmuhr für eine Kirche zu entwerfen. Als der Uhrmacher dem König aber ein Zifferblatt mit einer “IV” präsentierte und dies noch mit den Worten vertrat, dass es doch wohl die richtige Schreibweise sei, wurde er gerügt. “Ich irre nie!” rief der König aus und verfügt die “IIII” als einzig gültige Schreibweise.
Ob es sich in Einzelfällen um Ungehorsam gegenüber der Kirche und der Staatsmacht handelte, wenn immer mal wieder Uhren mit der “falschen Vier” auftauchten, bleibt unklar. Eine Antwort auf diese Frage findet man womöglich, wenn man sich die vier großen, beleuchteten Zifferblätter der Turmuhr vom Big Ben in London anschaut. Frech und eindeutig sind auf ihnen die “IV” zu sehen. Vielleicht wollte man jemanden provozieren?
Es gibt heute noch in Europa, aber auch weltweit und sogar in Japan weitere Beispiele für dieses Abweichen. Interessant ist dabei auch, dass früher im Zusammenhang mit der abgebildeten “IV” auf den Zifferblättern von Kirchturmuhren auch eine besondere Form der akustischen Zeitansage bestand, bemerkenswerterweise “Römisches Geläut” genannt. Die entsprechenden Glocken- und Uhrentürme besaßen jeweils eine kleine und eine große Glocke. Die kleine, hellere Glocke stand für die Ziffer “I” und läutete um vier Uhr einmal, gefolgt von der etwas dumpfer klingenden großen Glocke, die einmal stellvertretend für die Ziffer “V” anschlug. Entsprechend umgekehrt tönten die beiden um VI Uhr.
Diese ökonomische Art mit der Zeit und der Energie umzugehen schonte die Ohren der Bevölkerung genauso, wie die Statik der Glockentürme, und trotzdem war jedermann in der Lage, zu hören, was die Stunde geschlagen hat. Im 19. Jahrhundert verlor sich derlei akustische Eigenart bei den betreffenden Glockentürmen wieder und machte dem anzahlgenauen Läuten Platz; die “IV” blieb aber auf den Zifferblättern bestehen, zumindest auf denen mit römischen Ziffern.
Hersteller von Quarzuhren deren Digitalanzeigen arabische Ziffern darstellen sehen sich mit neuen, ganz anderen Diktaten konfrontiert: Die gesamteuropäisch geltende Verordnung ISO9000 schreibt vor, dass es um vier Uhr nachmittags “16:00” ist. Angesichts dessen, ob es zukünftig keine 4 Uhr a.m. respektive p.m. mehr geben darf, verblaßt die Frage nach “IIII” oder “IV” nun wirklich bis zur Bedeutungslosigkeit.
Der Ablauf der Zeit hat die Menschen schon immer beschäftigt. Als der römische Philosoph Aurelius Augustinus im vierten Jahrhundert n. Chr. nach der Zeit gefragt wurde, rief er aus: “Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich, was Zeit ist. Soll ich’s aber einem Schüler erklären, so weiß ich nicht, was ich ihm sagen kann!”
Die Zeit, ein Phänomen, dass unaufhaltsam fortläuft, sich unserer Einflussnahme konsequent entzieht und trotzdem unser Leben derart absolut diktiert; das Messgerät, das zumindest aufzeigt, an welchem Augenblick des Weltgeschehens wir uns gerade befinden nennen wir “Uhr”.
Exponate in allen Formen, aus allen Epochen und für alle Anwendungsmöglichkeiten können Interessierte weltweit in zahlreichen Museen bewundern. Die berühmte Uhrenstadt Nürnberg weist etliche interessante Museen auf. In speziellen Broschüren, die jeder anfordern kann, sind die genauen Adressen und die Öffnungszeiten aufgeführt. In der Schweiz sind bekanntlich bedeutende Uhrenfirmen mit Tradition ansässig. Fast jede Fabrik hat ein Uhrenmuseum, in der die Geschichte der eigenen Produktion selbstverständlich vorrangig behandelt wird. Literatur über Uhren gibt es in großer Auswahl. Es scheint, dass die “Zeit” ein niemals erschöpfend zu behandelndes Thema ist. Unter den Fachzeitschriften ist das “Uhrenmagazin” hervorzuheben. In Ulm befasst sich der Ebner Verlag in zwei Publikationen mit klassischen Uhren.
Im Internet sind sehr interessante Adressen zum Thema “Uhren” zu finden, wie Michael Sterns “Uhrenseite” oder http://www.swisstime.ch wo man die neuesten Kollektionen Schweizer Armbanduhren bewundern kann. Aber auch Deutschland hat eine Uhrentradition, die sich im Internet widerspiegelt. In Sankt Augustin wird die Homepage http://www.schmuckecke.de gepflegt und unter http://www.reschke.de gibt es Wissenswertes und jede Menge Links. Die “Gesellschaft für Chronometrie” hat ebenfalls eine eigene Homepage mit allem Wissenswerten rund um die Zeit und rund um die Uhr.
Wolfgang Hoffmann Dipl. Des. Journalist
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